Ein kleine, fiktive Eishockeygeschichte.
Ich quäle mich aus dem Bett. Oh Mann, habe ich schlecht geschlafen. Kein Wunder. Erst mal
einen Kaffee machen und eine Kleinigkeit essen. Vielleicht sieht alles dann
wieder besser aus. Heute Abend muss ich voll da sein. Ich darf mir keinen
Fehler erlauben. Meinen Linesmen wird es ähnlich ergehen und doch trage ich die
Hauptlast. Immer bin ich schuld, dabei treffe ich doch nur menschliche
Entscheidungen. Natürlich decken die Fernsehbilder oftmals meine Fehler auf,
doch liegen Sie mit Ihren Einschätzungen von einer Sekunde auf die andere immer
richtig?
Heute Abend ist die Hütte voll und egal welcher Pfiff auch ertönt, immer werden Zuschauer
damit unzufrieden sein. Es gibt nur selten einfache Spiele. Ich bin kein
arroganter Schiedsrichter und doch würde ich die eine oder andere Provokation
gerne mal erwidern. Ich muss mich fest im Griff haben, denn Menschlichkeit hat
hier nichts zu suchen.
Mein Gott, was habe ich schon Feuerzeuge aufgehoben. Auch der eine oder andere Becher ist
bereits auf dem Eis gelandet. Die Gummihühner waren ja wenigstens noch lustig. In
der Presse heißt es dann so lapidar: „Das Publikum machte seinem Unmut Luft!“.
Denkt hier irgendwer noch an mich. Die Fehlentscheidungen des Publikums kreidet
niemand an. Tausende gegen Einen. Ist das fair?
Dabei bin ich doch selbst nicht anders. Wenn ich mir ein Spiel ansehe, dann rege ich mich
auch auf. Dennoch habe ich mir ein gewisses Maß an Beherrschung bewahrt. Ich
habe mehr Verständnis für Fehlentscheidungen, seit ich diesen Job mache.
Beleidigungen lassen mich ohnehin kalt, aber eine Bierdusche muss ich mir nicht
bieten lassen. Ich bin ein erwachsener Mann und doch werde ich von Teenagern beschimpft.
Verrückte Welt. Dabei ist es einfach nur Sport. Alle reden von Fairness und
trotzdem kommen einem aufgeregten Anhänger viele böse Worte ganz leicht über
die Lippen. Ich kann natürlich oft den Ärger verstehen. Jeder Fan will nur das
Beste für den Verein. Da wird keine Rücksicht auf so einen dahergelaufenen
Unparteiischen genommen, der sowieso nur alle bescheißt.
Lob ernte ich für meine Arbeit nie. Wenn ich unauffällig bin, dann bin ich überragend.
Meistens ist es aber anders. Viele Zuschauer stimmen mir bei meinen
Entscheidungen zu. Für andere Anhänger war alles falsch und ich habe die
Niederlage verschuldet. An der Mannschaft liegt es ja ohnehin nie.
Ich habe noch gar keinen Fuß auf das Eis gesetzt und werde schon ausgepfiffen. Ich wirke
fast zwergenhaft im Vergleich zu den riesigen Eishockeyspielern. Dabei bin ich
in diesem Sport auch kein Schlechter. Nicht viele Leute können so gut Eislaufen
wie ich, aber meine Fähigkeiten interessieren hier keinen. Die Zebrastreifen
machen mich zum schlechten Menschen und die Pfeife ertönt selbstverständlich
immer im falschen Moment. Die roten Streifen machen alles nur noch schlimmer.
Dabei riskiere ich meine Gesundheit für diese Arbeit. Wie oft bin ich schon vom
Puck getroffen worden. Wenn ich umgefahren werde, werde ich ausgelacht. Meine
Linesmen müssen sich sogar oftmals in die kämpfende Meute werfen. Das wirkt
natürlich immer lächerlich, das sehe ich ein. Aber es ist unser Job und wir
versuchen alles, um diesen zu erfüllen.
Auch die Spieler gehen nicht immer nett mit uns um. Was habe ich mir schon für
Schimpfwörter anhören müssen. Manchmal reicht es mir auch und ich schicke einen
in die Kühlbox. Diese Entscheidung sorgt natürlich für noch mehr Hohn und
Spott, dabei hat keiner gehört, was der zu mir gesagt hat. Manche können sich
eben alles erlauben.
Das Spiel beginnt und es läuft eigentlich ganz gut. Dann kommt ein Schlagschuss und alle
sehnen das Tor herbei. Es folgt ein Torjubel und doch behauptet der Goalie, der
Puck sei noch vor der Linie in seiner Fanghand gelandet. Ich stand nicht gut.
Es war ein schneller Angriff und der Puck hat plötzlich mein Sichtfeld
verlassen. Was mache ich nur. Ich habe nur ganz kurz Zeit, meine Entscheidung
zu treffen. Einen Videobeweis gibt es hier noch nicht. Tor oder nicht? Scheiße,
keiner kann mir helfen und alle starren mich an. Ich bekomme Gänsehaut und
greife auf die einfachste Lösung zurück. Ich berate mich mit meinen Kollegen. Beide
haben nichts gesehen. Na klar, war ja auch meine Aufgabe. Wenn ich mich gegen
das mögliche Tor entscheide, dann ist hier die Hölle los. Entscheide ich mich
dafür, dann bin ich der Held, doch damit tue ich womöglich dem kleinen Häufchen
Gästefans unrecht. Eigentlich muss ich ehrlich sein und meinen Prinzipien treu
bleiben. Ich habe es nicht richtig gesehen und kann nicht auf Tor entscheiden.
Einen Mittelweg gibt es nicht.
Ich folge meinem Bauchgefühl, welches mir doch Bauchschmerzen bereitet. Ich strecke die
Arme weit auseinander und sorge für einen kurzen Moment der Stille. Dann bricht
das Unheil über mich herein. Ehrlich währt eben nicht immer am längsten. Für
das Publikum in diesem Stadion bin ich für die nächste Stunde der schlimmste
Mensch auf Erden. Ich habe ein dickes Fell und doch kann ich meine Narben nicht
verstecken. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Dieser Satz kann vernichtend
sein.
Meine Freunde sagen immer, ich hätte eben einen anderen Beruf erlernen sollen, doch
irgendwer muss das schließlich machen. Meinen Kollegen geht es auch nicht
anders. Wenn ich um Verständnis werben will, werde ich belächelt. Einen
maschinellen Schiedsrichter will keiner, sonst gäbe es nichts zu diskutieren.
Ich habe mir noch nie etwas zu Schulden kommen lassen und doch bin ich ein
Dieb. Einem stehle ich die Punkte, während ich sie dem nächsten schenke. Nach
jedem Jahr will ich aufhören, doch die Sommerpause glättet die Wogen. Ich fahre
vor jedem Spiel unzählige Kilometer. Nur, um mich einer schwierigen Situation zu
stellen. Meiner Frau tue ich immer Leid und sie begleitet mich zu kaum einer
Partie. Irgendwie bin ich froh darüber, denn oftmals schäme ich mich für meine
Rolle in diesem Spiel.
Dennoch teile ich auch etwas mit den Fans: Die Liebe für den Eishockeysport. Vielleicht
finden wir ja irgendwann einmal zueinander. Bei einem Gläschen Bier lässt sich
über alles reden. Noch ist es nicht so weit. Viele Spiele stehen noch vor mir. Der
Ablauf ist immer gleich. Wenn ich mich in der Kabine umziehe und das Publikum höre,
dann erhöht sich der Puls. Nach gut zwei Stunden ist alles vorbei und der
Ballast fällt von mir ab. Ich setze mich ins Auto und höre entspannende Musik.
Meine Gedanken kreisen um das Spiel. Ich bin mir sicher: Bald höre ich damit
auf. Wahrscheinlich kann ich es ja doch nicht.